Der (vermeintliche) Erfolg einer homöopathischen Behandlung wird oftmals erst nach der dritten oder vierten Verordnung eines Mittels sichtbar. Prof. Walach sieht darin einen Beleg für die spezifische Wirksamkeit homöopathischer Mittel (Link), woraufhin ich in einer kleinen Glosse aufgezeigt hatte, dass sich auf diese Weise auch zeigen ließe, dass man mit Tangotanzen Regen machen kann (Link). Nein, so ist das nicht, schreibt Curt Kösters, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (Link). Doch, so ist es, Herr Kösters:
zunächst wäre es für einen Austausch sicher förderlich, wenn Sie an mich gerichtete Texte, auch wenn es sich um Offene Briefe handelt, mir auch zusenden würden. Wenn Sie meine Mailadresse nicht schon haben, können Sie sie in meinem Blog in den Angaben zu meiner Person finden.
Gut denn, wenn ich bei meiner kleinen Satire etwas falsch verstanden haben sollte, dann können wir das ja in einer sachlichen Diskussion klären. Warum ist also meine Analogie des Regentanzes unzutreffend? Auch hier – übrigens „altes Wissen“ bei vielen Völkern auf allen Kontinenten – wird versucht, durch rituelle Handlungen Ereignisse zu beeinflussen, die davon unabhängig sind. Zufällige, bzw. nach anderen Gesetzmäßigkeiten ablaufende, Veränderungen werden dann im Rahmen eines Post-hoc-ergo-propter-hoc-Fehlschlusses als Wirkung des Rituals erlebt.
Nun zu Ihrem Text:
Als Erstes ist festzuhalten, dass ich – wie viele meiner Skeptikerkollegen – die Heilungserfolge der Homöopathie durchaus nicht als alleinige Folge eines Placeboeffekts sehe, wenn man darunter die positive Wirkung des Glaubens an die zu erwartende Besserung infolge der Therapie versteht. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Effekte, die (nicht nur) unter Placebo auftreten, etwa die Wirkung des Immunsystems, die Regression zur Mitte, ein natürlicher Krankheitsverlauf und vieles mehr, was als Heilungsursachen in Frage kommt. Was ich jedoch für ausgeschlossen halte, ist eine spezifische Wirkung des Homöopathikums, die durch das Ausgangsmaterial der Herstellung des Homöopathikums bestimmt wird. Die vermeintlichen Heilerfolge der Homöopathie beruhen eher darauf, dass die tatsächlich erlebten positiven Verläufe fälschlich der Wirkung des eingenommenen Mittels zugeschrieben werden.
Demnach ist die zunehmende Erfolgsrate bei mehrfacher Verordnung kein Ergebnis einer mehr oder weniger großen „Enttäuschung“ seitens des Patienten, sondern ein weitgehend zeitabhängiges Phänomen, was Sie übrigens durch Ihre Angaben bestätigen: Viele natürliche Verläufe folgen einer Gesetzmäßigkeit, die darin besteht, dass in gleichen Zeitintervallen die gleichen Änderungen zu erwarten sind. Die Abkühlung Ihres Kaffees erfolgt so, oder auch der radioaktive Zerfall. Die wohl allgemein bekannte Halbwertszeit aus der Kernphysik ist so definiert, dass in dieser Zeitspanne immer die Hälfte der Menge zerfällt, die zum Anfang des Zeitintervalls noch vorhanden war. Beim Kaffee ist es die Temperaturdifferenz zur Umgebung, die sich so verhält. Genau das beschreiben Sie auch als Resultat Ihrer Bemühungen. Wobei Sie natürlich eine gewisse Zunahme der Erfolgsrate feststellen müssen, denn schließlich sind nach einer endlichen Zeit alle Patienten wieder gesund, während die Abkühl- bzw. Zerfallskurve sich auch auf lange Sicht nur asymptotisch der Null nähert.
Ob Ihre Heilungserfolge mit der Schwere der Erkrankung korrelieren oder mit der Präzision der Anamnese, kann ich nicht beurteilen, aber die obige Betrachtung deutet eher darauf hin, dass der Genesungsverlauf vornehmlich mit der Zeit korreliert.
Was mich etwas wundert, ist die Art und Weise, wie Sie die Kausalität bewerten, nämlich alleine aufgrund der vergangenen Zeit zwischen Einnahme und Besserung. Das wesentliche Kriterium einer Kausalität ist aber nicht der zeitliche Zusammenhang, sondern das Ausbleiben einer Wirkung, wenn das auslösende Ereignis nicht stattfindet. Ich bezweifle, dass Sie dies in einem Praxissetting feststellen können, da Ihnen die Vergleichsgruppe fehlt. Und der Behandlungserfolg kann, wie schon gesagt, auf vielen Effekten beruhen, bis hin dazu, dass der Patient es nicht übers Herz bringt, dem netten Doktor, der sich so intensiv bemüht hat, zu sagen, dass das alles nichts genutzt hat. Bitte beachten Sie: Ich bestreite nicht, dass es den Patienten nach einer Therapiesitzung tatsächlich subjektiv besser gehen kann, lediglich dass es sich dabei um eine Folge der spezifischen Wirkung des verordneten Mittels handelt. Wenn wir uns darauf verständigen – und dies eine allgemein akzeptierte Sichtweise wird – dann wäre unser Dissens erledigt.
Das alles wäre kein großes Problem, wenn die Homöopathie nur bei den üblichen Bagatellerkrankungen zur subjektiven Verkürzung der Wartezeit genutzt würde. Sie wissen aber selbst, bei welchen auch ernsten Krankheitsbildern die Homöopathie eingesetzt wird, wie zumindest dafür geworben wird. Da wirkt sich dann ein über die vermeintlichen Erfolge der Homöopathie bei Allerweltsbeschwerden aufgebautes Vertrauen eventuell fatal aus.
Die von Ihnen angegebenen Heilungsdauern kann ich naturgemäß mangels weiterer Angaben nicht beurteilen. Ich wundere mich allerdings, woher Sie wissen, wann die Genesung erfolgt ist (die ja nach Ihrer Definition nicht kausal von der Einnahme des Homöopathikums abhängen kann, da die Zeit mehr als 2 Stunden beträgt)? Sei es wie es ist: Warum zeigen sich dann diese Erfolge nicht in klinischen Studien? Warum muss man diese auf so abenteuerliche Weise durchführen wie zm Beispiel Haidvogl (Link) oder Friese (Link), um irgendwelche Erfolge herauszumessen?
Dann kommt in ihrem Text ein Kapitel, das mich doch noch mehr wundert. Um die ursprüngliche Argumentation von Herrn Walach zu entkräften, hatte ich eine Analogie konstruiert, von der ich annahm, es würde sich jedermann erschließen, dass dies etwas satirisch angehaucht sein sollte. Wenn ich Ihren Text bezüglich meiner Erfolgsrate als Regentänzer weiterlese, dann frage ich mich allerdings, ob ich diesen Umstand vielleicht doch hätte stärker betonen sollen.
Wo ich Ihnen meinerseits nicht ganz zu folgen vermag, ist die Sache mit den Lawinen. Nicht die Physik, sondern was Sie damit sagen wollen, bleibt mir unerfindlich.
Eine Lawine entsteht, vereinfacht ausgedrückt, wenn für eine Schicht Schnee die Haftungskräfte nicht mehr ausreichen, der Hangabtriebskraft zu widerstehen. Dieser Prozess ist nun von recht vielen Parametern abhängig, einer davon ist, wieviel Schnee abrutschen könnte und wie instabil die Schichtung ist. Was liegt näher, als bei Lawinengefahr die Schneemassen in kleineren Portionen abgehen zu lassen, anstatt zu warten, bis ein unkontrollierbarer Zustand eintritt? Das ist auch in der Technik nichts Ungewöhnliches. Man hat vielfach Einrichtungen geschaffen, eine Änderung langsam und kontrolliert auszuführen anstelle eines abrupten Vorgangs, bei dem unerwünschte Folgen eintreten. Denken Sie mal an die Bremsen Ihres Autos. An die Überlaufleitung Ihrer Heizung. An die Sicherheitsventile bei einem Dampfkessel.
Dass es zum vorzeitigen kontrollierten Auslösen einer Lawine zweckmäßig ist, an dem Hang zu „wackeln“, um den (noch) stabilen Zustand zu stören, dürfte ebenso einsichtig sein. Und dass man mit Kanonen mechanische Erschütterungen erzeugen kann, dürfte auch weitestgehend bekannt sein. Das ist alles ganz normale, mit den üblichen Modellen erklärbare Physik. Es erscheint mir auch ein Gebot der Vernunft, wenn man sich anhand von Karten und Fotografien früherer Abgänge klarzumachen versucht, was man damit auslöst, wo der Schnee am Ende landen wird, welche Bereiche man absperrt etc. etc.. Können Sie mir klarmachen, welches Mysterium vergleichbar mit der Homöopathie in der Vorbeugung von Lawinenkatastrophen verborgen sein soll?
Was Frau Grams angeht, fühle ich mich wenig berufen, hierzu Stellung zu nehmen. Vielleicht sprechen Sie sie ja mal an, Sie wird Ihnen sicher über Ihr Verständnisproblem hinweghelfen können.
Ach ja, die Reproduzierbarkeit. Wenn es denn so wäre, wie Sie sagen, wenn Ihre Heilungserfolge reproduzierbar wären (und durch eine geeignete Versuchsführung auch der Einnahme der homöopathischen Präparate als Grund zuzuordnen wären) – warum zeigen Sie dies dann nicht in klinischen Studien auf?
Es gibt doch nur zwei Sorten von Gründen, warum es keine belastbare Evidenz für eine Wirksamkeit der Homöopathie über Placebo hinaus gibt (Nochmal: das ist nicht nur der Placebo-Effekt, siehe oben): Entweder man kann nicht oder man will nicht. Dass die Homöopathen nicht wollen, dass ihre Lehre als evidenzbasiert gelten kann, davon ist doch nun wirklich nicht auszugehen. All die Studien, Reviews und Forschungsreader, die da vorgelegt werden, deuten doch genau auf dieses Bestreben hin. Innerhalb der Homöopathie braucht man solche Studien nicht, da genügt die homöopathische Arzneimittelprüfung ja vollauf, um die nötigen Kenntnisse zur Therapie zu erlangen. Diese Forschungsaktivitäten sind alleine auf die Wirkung nach außen gerichtet.
Das lässt kaum darauf schließen, dass man nicht will. Daher wird wohl die erste Option zutreffen.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Aust
Bildnachweis:
Tänzer: Wikimedia, Autor DatBot, (Link)
Zerfallskurve: Wikimedia, Autor Svjo, (Link)
Lawine: Wikimedia, Autor dahu1 (Link)
Herr Kösters Lawinenbeispiel lässt einen nur noch fassungslos zurück. Okay, Lawinenkunde wird im Medizinstudium nicht gelehrt. Ist das eine Entschuldigung für dieses haarsträubende Argument? Vielleicht ist Herr K. ja Flachländer und hat noch nie Berge und Lawinen aus der Nähe gesehen. Dann sollte er nicht über Lawinen reden. Sondern darüber, warum Deiche nicht vor Überflutungen schützen können. Oder vielleicht doch. Oder beides. Hauptsache, irgendwas mit Information.
Ja, bei einem vergleichsweise späten Behandlungsbeginn kann das mit den 2,8 Tagen natürlich stimmen, aber dann wäre Kösters Zeitargument auch nach seiner eigenen Logik völlig hinfällig.
Das mit den 2,8 Tagen bei Influenza war mir auch aufgefallen. Um dies mit irgendwelchen Angaben vergleichen zu können – was nötig wäre, um den Erfolg der Maßnahmen festzustellen – fehlt die Angabe, wie lange vor Diagnosestellung denn die ersten Symptome aufgetreten sind. „Verlauf und Schwere von Grippe-Erkrankungen können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Sollten keine Komplikationen auftreten, halten die Beschwerden in der Regel etwa 5 bis höchstens 7 Tage an.“ schreibt die Deutsche Familienversicherung auf ihrer Webseite (Link). Wenn die Patienten folglich erst am zweiten oder dritten Tag den Arzt aufgesucht haben, dann kann es sich um ganz normale Spontanverläufe gehandelt haben. Deshalb habe ich auch bemängelt, dass die Angaben von Kösters nicht ausreichen, das Ergebnis zu beurteilen.
Natürlich muss auch etwas im Körper des Patienten passieren, wenn der Placeboeffekt aus Vertrauen und weniger Stress zur Wirkung kommen soll. Der Text sollte sich auch mehr auf das beziehen, was die Reaktion triggert: das mentale Geschehen als Auslöser im Gegensatz zu eigenständigen Reaktionen des Immunsystems auf irgendwelche Pathogene.
Schöne Kommentierung des Zeitarguments. Zwei Anmerkungen am Rande:
1. Herr Kösters schreibt, in seiner Praxis läge die durchschnittliche Krankheitsdauer bis Behandlungserfolg bei Patienten mit Influenza bei 2,8 Tagen. Das deutet darauf hin, dass es keine echten, laborbestätigten Influenza-Fälle waren, sondern überwiegend banale Atemwegsinfektionen.
2. Zum Placeboeffekt: Den Aspekt des Vertrauens bzw. einer Erwartungshaltung sollte man nicht von Reaktionen des Immunsystems oder anderen biologischen Reaktionen abgrenzen. Vertrauen, wenn es wirklich heilsam wirkt, muss ein biologisches Korrelat haben, sonst handelt es sich nur um eine Selbsttäuschung (es sei denn, man glaubt an geistartige Heilkräfte). Für Selbsttäuschungen ist bei der Homöopathie allerdings auch viel Raum.