Wer hätte das gedacht?! Wer ist das größte Feindbild, das die Homöopathen in Diskussionen immer wieder anführen – außer uns Skeptikern versteht sich? Natürlich die pöhse Pharmaindustrie, bei der wir Kritiker auf der Gehaltsliste stehen. Was ist jetzt davon zu halten, dass ausgerechnet die Sandoz AG, einer der ganz großen Global Player der Pharmaindustrie, einen Preis für homöopathische Forschung verleiht? Noch dazu für eine Studie, die von den Homöopathen gerne als einer DER Nachweise für die Wirksamkeit ins Feld geführt wird? Die aufrechten Homöopathen auf der Payroll von BigPharma?
Dass die Schweizer Forschergruppe um Frei und von Ammon, die sich mit der homöopathischen Behandlung von ADHS beschäftigt, einen Preis gewonnen hatte, wurde schon im September 2013 in der Zeitschrift Ars Medici berichtet (hier). Dort hatte man dann auch auf meinen Blogartikel zum Thema hingewiesen (diesen hier), und die Welt schien in Ordnung. Dem GWUP-Blog war es hier einen kurzen Artikel wert und die Welt drehte sich weiter.
Jetzt, rund ein halbes Jahr später, wird in einer kurzen Notiz auf dem ‚Naturheilkunde und Naturheilverfahren Fachportal‘ von heilpraxis.net nochmals darüber berichtet (hier). Der User Sweeper hatte dann in seinem Kommentar den Link zum zugehörigen Bericht zur Preisverleihung gepostet (danke dafür) – und was sich dahinter verbirgt, ist schon erstaunlich.
Da findet man dann, dass ausgerechnet die – Gott sei bei uns! – Sandoz AG den Preis finanziert hat. Immerhin hatte man einen ‚General Manager‘ von ‚Sandoz Pharmaceuticals AG‘ für die Preisverleihung abgestellt. Da dies für gewöhnlich eine höhere Position im Management des Unternehmens bezeichnet, kann man davon ausgehen, dass die Sandoz recht bewusst an der Preisverleihung beteiligt war – und nicht nur als stiller Finanzier des Instituts für Hausarztmedizin an der Universität Basel, das offenbar die Preisträger bestimmt hat.
Sei es wie es sei:
Auch hier bekommt die Homöopathie einen Ritterschlag in Gestalt eines Preises durch eine der evidenzbasierten Medizin zugehörige Organisation, die ohne Zweifel etwas von Forschung, Medikamenten und deren Wirksamkeit versteht. Dass die Information dann auch noch in großem Umfang bei den praktizierenden Hausärzten der Schweiz landet, ist dazu geeignet, die Grenzen zwischen wirksamer Medizin und Hokuspokus weiter zu verwischen.
Daher habe ich mich entschlossen, die Beteiligten über den tatsächlichen Inhalt der Arbeit zu informieren, denn, wie man weiter unten nachlesen kann, beruht die Preisvergabe ja möglicherweise auf anderen Informationen, als man aus den entsprechenden Veröffentlichungen herauslesen kann.
Daher werde ich das folgende Schreiben an folgende Adressaten absetzen:
- Herrn Dr. Zeller vom Institut für Hausarztmedizin der Uni Basel, das letztendlich für die Vergabe des Preises verantwortlich zeichnete.
- Redaktion des Ärztemagazins PrimaryCare, das sowohl über die Preisverleihung berichtete als auch den Abstract der Arbeit veröffentlicht hatte.
- Redaktion des Ärztemagazins Ars Medici, das schon im September über die Preisverleihung berichtet hatte.
- Redaktion des Portals ‚Naturheilkunde und Naturheilverfahren‘, dort wurde jetzt über die Preisverleihung berichtet.
- Letztendlich auch die Sandoz Phamaceuticals AG, die sicher nicht daran interessiert ist, ihren Namen mehr als vermeidbar mit problematischen Themen zu belasten.
Es ist zwar auch wieder nur ein Brief, aber dies ist das Beste, das mir derzeit einfällt, um über die Sachzusammenhänge zu informieren.
————- Text
Betrifft: Preis für Homöopathische ADHS-Forschung
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie dieser Tage dem Fachportal ‚Naturheilkunde und Naturheilverfahren‘ [7] zu entnehmen war, hat das Institut für Hausarztmedizin schon vor geraumer Zeit einen von der Sandoz AG finanzierten Preis an eine Forschergruppe der Universität Bern verliehen, die sich mit der homöopathischen Therapie von ADHS beschäftigt.
Es kommt hierbei auch eine Studie zur Sprache, in der zunächst die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung von ADHS nachgewiesen worden sein soll. Diese Darstellung trifft jedoch nicht zu, denn die reklamierten Verbesserungen sind während der unverblindeten Screeningphase ohne Vergleichsgruppe ermittelt worden. Des Weiteren wurde als Ergebnis der Crossoverphase eine Grafik veröffentlicht, der nicht die tatsächlichen Messdaten zu entnehmen sind, sondern deren im Idealfall zu erwartender Verlauf, was aus dem begleitenden Text nicht ersichtlich ist. Inwieweit die Preisvergabe hierauf beruht, sei offengelassen, auf jeden Fall aber handelt es sich um Fehlinformationen, die in einem Fachmagazin, das sich an die Hausärzte in der Schweiz wendet, veröffentlicht wurden.
Zu meiner Person
Bevor ich im Einzelnen darlege, warum diese Preisvergabe aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt ist, möchte ich mich kurz vorstellen. Wie Sie meinem Briefkopf entnehmen können, bin ich kein Mediziner. Ich habe mich vielmehr als promovierter Ingenieur in verschiedenen leitenden Positionen in Forschung und Entwicklung sowie im Qualitätsmanagement in der Industrie sehr intensiv mit Versuchsgestaltung, Messtechnik sowie Auswertung und Interpretation von Versuchsergebnissen beschäftigt. Gerade die Nachweisverfahren für die Wirksamkeit von qualitätssichernden Maßnahmen weisen deutliche Parallelen zu klinischen Vergleichsstudien auf.
Seit Ende meiner aktiven Berufstätigkeit beschäftige ich mich aufgrund negativer Erfahrungen aus dem familiären Umfeld sehr intensiv mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Homöopathie. Ich komme dabei zu dem Schluss, dass es für die Wirkungsweise homöopathischer Präparate keine naturwissenschaftliche Erklärung gibt. Die vorliegenden experimentellen Nachweise zur Wirksamkeit halten einer kritischen Überprüfung nicht stand. Darüber berichte ich in lockerer Folge in meinem Blog [5]. Ich bin Mitglied der Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), habe ein Buch zum Thema veröffentlicht und betreibe den schon genannten Blog, in dem ich über meine Ergebnisse berichte – und in dem auch dieser Brieftext veröffentlicht wird.
Allgemeines
Auch die mit einem Forschungspreis bedachten Arbeiten der Forschungsgruppe um Frei und von Ammon weisen grobe methodische Mängel auf, die sie als Nachweis für eine Wirksamkeit der Homöopathie bei ADHS wertlos machen. Es entbehrt zwar nicht einer gewissen Komik, dass eine auf dem Gebiet der Homöopathie tätige Forschergruppe einen ausgerechnet von einem Global Player der Pharmaindustrie finanzierten Preis erhält, wo doch gerade diese Therapierichtung einen guten Teil ihrer Existenzberechtigung daher ableitet, dass man im Gegensatz zur Pharmaindustrie nicht deren zum Teil in Verruf geratenen Geschäftspraktiken folge – und den Kritikern regelmäßig vorwirft, sie seien von der Pharmaindustrie bezahlt.
Dennoch ist dieser Preis ungerechtfertigt, da die Ergebnisse von Frei und von von Ammon, die Berner ADHS-Studie und die anschließende Langzeitstudie in Ermangelung interner Validität und dem Fehlen von Vergleichsdaten die gezogenen positiven Schlussfolgerungen nicht rechtfertigen.
Der verliehene Forscherpreis wird in den Augen der potenziellen Patienten und bei deren Hausärzten hingegen sicher als offizielle Anerkennung der Ergebnisse gewertet, ein Umstand, der geeignet ist, den betroffenen Personenkreis zu Fehlentscheidungen zu veranlassen. Angesichts der bei einer homöopathischen Behandlung involvierten langen Zeiträume, bis das Versagen der Therapie offensichtlich wird, ist von einem deutlichen Schädigungspotenzial auszugehen.
Begründung:
Ich beziehe mich in der Darstellung auf die in der Zeitschrift Primary Care erschienene Zusammenfassung [1], deren Originalquelle jedoch nicht angegeben ist. Ich beziehe daher die in [2] dargestellten Ergebnisse des gleichen Autorenkollektivs in die Betrachtungen mit ein. Dies ist zwar auch nur ein Abstract, dem ebenfalls keine vollständige Quellenangabe zu entnehmen ist, es liegen mir aber keine aussagekräftigeren Unterlagen vor. Bezüglich der am Anfang stehenden ‚Berner ADHS-Studie‘ beziehe ich mich auf die auf Englisch und die auf Deutsch veröffentlichten Berichte [3] und [4].
Die Vergleichsstudie
Eine ausführliche Analyse der Berner ADHS-Studie [3] und [4] findet sich auf meinem Blog [5], so dass hier eine Zusammenfassung genügt.
In [1] wird dargestellt, dass eine Verbesserung der ADHS-Symptomatik um 50 % in Folge der homöopathischen Therapie nachgewiesen sei. Dies trifft aber nicht zu. Die ohne Zweifel vorliegenden Verbesserungen nach der Aufnahme der homöopathischen Behandlung wurden in einer unverblindeten Screeningphase und der späteren unverblindeten Langzeitbeobachtung ohne Vergleichsgruppe erzielt. Zwar wird die Studie, z.B. im deutschen Titel, als ‚randomisierte placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit Crossover‘ bezeichnet, oder man vergleiche gar den englischen Titel [3], aber die Hauptergebnisse zur zitierten Verbesserung des Befundes um 50% [1] sind nicht unter PCT-Bedingungen ermittelt worden. Damit handelt es sich um keinen belastbaren Nachweis.
Infolge der unverblindeten Einnahme sind folgende Effekte vielleicht nicht einzeln, aber möglicherweise in Kombination, als Erklärungen für die ermittelten Verbesserungen denkbar:
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Wechsel der statistischen Vergleichsbasis: Die Verbesserung bezieht sich alleine auf die Untergruppe der ‚Good Responders‘. Wie der deutschen Version zu entnehmen ist [4], begannen 83 Kinder das Screening und erhielten homöopathische Medikamente, der Durchschnittswert von 8 Punkten bezieht sich aber nur auf die Teilmenge von 62 Kindern, die eine Verbesserung von mindestens 50% erzielt haben, wobei mindestens 11 Kinder ausschieden, weil sie dieses Kriterium nicht oder verspätet erreichten. Hätte man das Intent-to-treat-Prinzip beachtet und den Behandlungserfolg am Resultat aller Kinder gespiegelt, wäre demzufolge ein deutlich schlechteres Resultat zu verzeichnen gewesen.
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Placeboeffekt: Die Eltern, die sich für die Teilnahme an dem Versuch entschieden, standen der Homöopathie sicher zumindest aufgeschlossen gegenüber, ein Teil wird dem Trend der Zeit folgend eine konventionelle Medikation sogar abgelehnt haben. Leider fehlen nähere Angaben, die weiteren Aufschluss hierzu geben könnten. Eine unverblindete Teilnahme an der Wunschtherapie dürfte einen erheblichen Placeboeffekt zur Folge gehabt haben.
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Natürlicher Verlauf nach der Erstdiagnose: Nach der Erstdiagnose erfolgt innerhalb der Familie eine gewisse Umorientierung und man bringt mehr Verständnis für das Kind auf. Ich kenne diesen Effekt aus eigener Erfahrung. Wie hoch der Anteil der Erstdiagnosen war, ist allerdings nicht angegeben. Die notgedrungen subjektive Bewertung des kindlichen Verhaltens durch die Eltern im CGI wird davon nicht unbeeinflusst sein.
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Parallele nichtmedikamentöse Maßnahmen: Die Autoren machen keine Angaben hinsichtlich eventuell parallel stattfindender nichtmedikamentöser Behandlungen und Trainings, beispielsweise zum Vermeiden kritischer Situationen oder zur Deeskalation bei akuten Problemen. Es wäre aber höchst unethisch gewesen und daher unwahrscheinlich, dass den betroffenen Familien solcher Support vorenthalten worden wäre. Der positive Effekt solcher Maßnahmen wird sich ebenfalls im CGI niedergeschlagen haben.
Dass der Erfolg bei einem großen Teil der Probanden offenbar nicht von langfristiger Natur war, siehe unten, spricht für einen starken Einfluss des Placeboeffekts.
Die Angabe, unter Verum zeige sich ein Vorteil gegenüber der Einnahme vom Placebo, kann sich nur auf die Crossoverphase beziehen, sonst waren keine Vergleichsgruppen definiert. Der durchschnittliche Vorteil (1,67 Punkte) von noch nicht einmal zwei CGI-Punkten mag rechnerisch als signifikant erscheinen, ist aber angesichts der Subjektivität des Bewertungsverfahrens und dessen nur mäßigen Test-Retest-Reliability deutlich unterhalb der Messauflösung. Dass von zehn Kriterien zur Beurteilung noch nicht einmal bei zweien die Bewertung um einen Schritt unterschiedlich ist (von ‚gelegentlich‘ nach ’selten‘ etwa), ist sicher kein sehr entscheidender Vorteil.
Drei der vier Arme der Crossover-Phase zeigen Ergebnisse, die der Annahme wirksamer homöopathischer Medikamente zuwiderlaufen. Insofern ist die in [1] gezeigte Grafik völlig unzutreffend. Sie zeigt den Verlauf, der im Idealfall zu erwarten gewesen wäre, wenn die Homöopathika tatsächlich eine Wirksamkeit entfaltet hätten. Es ist weder dem Text noch der Grafik zu entnehmen, dass es sich hier nicht um Versuchsergebnisse handelt.
Das tatsächliche Ergebnis der Crossoverphase wurde nur in [3] veröffentlicht, aus Gründen des Copyrights wird hier eine ergänzte Nachzeichnung der dortigen Fig. 2 wiedergegeben.
Wie ersichtlich, zeigen sich ganz erhebliche Unterschiede zur in [1] veröffentlichten Grafik. Besonders fällt auf, dass bei der Gruppe A, die ab der Randomisierung zum Zeitpunkt 2 zunächst weiter Verum erhält, eine Verschlechterung um vier Punkte eintritt, die sogar die Verschlechterung der Gruppe B mit drei Punkten übertrifft, die ab dem Zeitpunkt 2 ein Placebo erhielt. Erhält die Gruppe A im Anschluss ab Zeitpunkt 3 tatsächlich Placebo, verschlechtert sich das Ergebnis nicht etwa, was zu erwarten wäre, sondern es tritt sogar eine leichte Besserung um einen halben Punkt ein. Die Verschlechterung bei Gruppe B unter Placebo ab dem Zeitpunkt 2 bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, nach denen sich bei Punkt 3 in etwa der Anfangswert (19 Punkte) zumindest näherungsweise wieder einstellen müsste, wie es auch im Ablaufschema dargestellt ist.
Dass das Vorgehen, die im Idealfall zu erwartenden Daten anstatt der tatsächlich ermittelten Messergebnisse anzugeben, noch dazu mit den Quellenangaben zur Originalarbeit versehen, höchst fragwürdig ist, braucht wohl nicht weiter betont zu werden.
Die Autoren führen zur Erklärung der Ergebnisse der Crossoverphase zwei sich gegenseitig widersprechende Effekte ein – einen Carry-Over-Effekt des Medikaments und die Auswirkungen der Erwartung einer Placebogabe bei den Eltern. Diese Effekte hätten aber gruppen- und phasenspezifisch immer in die Richtung gewirkt, dass die Auswirkungen von Gabe oder Wegnahme der Medikamente zu kleineren Werten verfälscht worden wären. Der vierte Arm – Gruppe B wieder unter Verum – erreichte zum Zeitpunkt 4 (wahrscheinlich zufällig) das erwartete Ergebnis, so dass hier die in allen drei anderen Armen zur Erklärung herangezogenen Effekte nicht in Betracht gezogen wurden. Eine Begründung für das Vorhandensein dieser Effekte, oder gar ein plausibler Nachweis dafür, sind in der Studie nicht gegeben. Ohne diese Effekte spricht das Ergebnis der Crossover-Phase deutlich gegen eine Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung. Man muss sich fragen, wie ein Nachweis der Unwirksamkeit der homöopathischen Therapie denn noch aussehen muss, bevor dies erkannt wird.
Bei einer unvoreingenommenen Bewertung der Studie lassen sich im Crossover-Teil somit eher Belege für eine Unwirksamkeit der homöopathischen Behandlung ermitteln als für eine Wirksamkeit. Damit ist eine entsprechende Aussage, die Studie weise eine Wirksamkeit der homöopathischen ADHS-Behandlung nach, nicht gerechtfertigt.
Die Langzeitstudie
In [1] wird angeführt, dass es Subgruppen gegeben hätte, die zu vergleichbaren Ergebnissen gekommen seien, nämlich keine Behandlung, konventionell und homöopathisch. Es wird berichtet, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen gegeben hätte. Außer, dass diese Aussagen wenig Sinn machen – denn demnach wäre jede Behandlung sinnlos – entsprechen sie nicht den in [2] berichteten Sachverhalten.
Hiernach handelte es sich nicht um von Anfang an getrennt beobachtete Subgruppen, sondern um den Befund am Ende der 10-jährigen Beobachtungszeit. Ich beziehe mich im Folgenden daher auf die vermutlich zuverlässigere Darstellung in [2]. Hiernach wird offenbar als Erfolg gewertet, dass 38 der Kinder (61% bezogen auf 62 Teilnehmer in der Crossoverphase) keine Therapie mehr erhielten, weitere 6 (10%) erzielten Erfolge mit Homöopathie, 9 (15%) mit Methylphenidat (MPH) und 3 (5%) mit beidem. Es wird gefolgert, dass die homöopathische Behandlung vergleichbar gute Ergebnisse erziele wie eine Behandlung mit MPH.
Zunächst ist es prinzipiell fragwürdig, aus einer Verlaufsstudie ohne Kontrollgruppe eine Aussage zur Wirksamkeit der eingesetzten Therapie abzuleiten. Es braucht wohl nicht weiter erläutert zu werden, dass bei Unkenntnis des natürlichen Krankheitsverlaufs nicht darauf geschlossen werden kann, welchen Anteil die Therapie an den Geschehnissen hat.
Für den Fall der ADHS liegen allerdings Vergleichsdaten vor: Einer Veröffentlichung der Bundesärztekammer aus dem Jahre 2005 [6] kann entnommen werden (Kapitel 7.1), dass bei 60 bis 70 % der Fälle eine Remission der Beschwerden bis zum Eintritt in das Erwachsenenalter so weit erfolgt, dass die diagnostischen Kriterien nicht mehr erfüllt werden. Diese Aussage stützt sich auf insgesamt vier Studien aus den Jahren 2002 bis 2004 ab.
Nach den Angaben in [3] waren die Kinder bei Start der Studie durchschnittlich 10 Jahre alt (Bereich 7 bis 15 Jahre). Folglich waren die Studienteilnehmer zum Berichtszeitpunkt durchschnittlich 20 Jahre alt, der allergrößte Teil dürfte die Pubertät zumindest weitgehend überwunden haben.
Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob die Kriterien ‚es erfolgt keine Therapie mehr‘ und ‚die Diagnosekriterien liegen nicht mehr vor‘ gleichwertig sind. Im ersteren Fall könnte es durchaus sein, dass die Betreffenden lediglich gelernt haben, mit der Symptomatik umzugehen, oder durch ein geändertes Umfeld vielleicht der Leidensdruck nicht mehr in dem Maße besteht, dass eine Therapie erforderlich wäre. Wie immer man dies auch wertet – dass 61 % der früheren Teilnehmer in einem Durchschnittsalter von 20 Jahren als mehr oder weniger ‚problemfrei‘ betrachtet werden können, liegt durchaus in dem Rahmen, den man offenbar beim natürlichen Verlauf der Beschwerden erwarten würde.
Dies wäre ein Widerspruch zur Aussage, dass mit dem Ergebnis eine langfristige Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung nachgewiesen wäre.
Wie von Frei et al. in [3] beschrieben, sollten mit Aufnahme der homöopathischen Therapie alle weiteren parallelen Therapien unterbleiben. In der Folge wurden dann in unverblindeter Einnahme durchaus beträchtliche Verbesserungen erzielt. In [2] erfahren wir jedoch, dass inzwischen mindestens 12 der Kinder wieder konventionell mit Methylphenidat behandelt werden, die Eltern also im Verlauf der Studie zumindest teilweise auf konventionelle Behandlung umgestellt hatten. Diese Angaben sind jedoch nicht vollständig, beziehen sie sich doch ausschließlich auf die Gruppe der 18 Kinder, die noch therapiert wurden. Über die Therapien der Kinder, bei denen eine Remission eingetreten ist, wird nicht berichtet.
Man wird davon ausgehen können, dass es einen Ausdruck der Unzufriedenheit mit den Erfolgen der Therapie darstellt, wenn die Eltern zusätzlich zur Homöopahie auf die konventionelle Medikamentengabe zurückgriffen oder gar ganz darauf umgestellt haben. Mithin haben also mindestens 12 Kinder nicht oder nicht in befriedigendem Umfang von der homöopathischen Behandlung profitiert.
Die Autoren berichten nicht, ob sich in der Gruppe der nicht mehr therapierten Testpersonen auch solche befanden, die ebenfalls zusätzlich oder komplett konventionell behandelt wurden. Da es jedoch keinen Anlass gibt, eine Remission bei konventioneller Behandlung auszuschließen, können wir davon ausgehen, dass sich auch hier solche Testpersonen finden.
Mithin ist zu konstatieren, dass bei 12 + X Kindern die Homöopathie alleine langfristig keinen Erfolg brachte. Bezogen auf die 56 Kinder, die tatsächlich in der Langzeitstudie betrachtet wurden, ist das ein Anteil von (21 + X) %. Da es, wie oben bereits gesagt, keine Veranlassung gibt, eine Remission bei konventioneller Medikamentierung auszuschließen, wird X deutlich größer als Null sein, wenn auch in unbekanntem Maße.
Die Aussage, dass 74 % der Probanden von der Homöopathiebehandlung profitiert hätten, wie die Studie in [8] zitiert wird, ist somit nicht haltbar, weil 21% der Patienten es vorzogen, zusätzlich eine konventionelle Therapie aufzunehmen und bei weiteren 61% der Patienten nicht berichtet wird, welcher Natur die Behandlung tatsächlich war, bevor es zu einer sehr wahrscheinlich dem natürlichen Krankheitsverlauf entsprechenden Remission kam.
Schlussfolgerung
Wie ersichtlich, weisen beide Studien gravierende handwerkliche Mängel auf, die sie als Nachweis für einen erfolgreichen Einsatz homöopathischer Therapien bei ADHS ungeeignet machen. Dass die Studie von Frei überhaupt als aussagekräftige RCT angesehen wird, ist befremdlich, denn die angeblich erzielten Verbesserungen wurden während der unverblindeten Einnahme des Homöopathikums ohne Vergleichsgruppe erzielt. In der Crossoverphase ergaben sich in drei von vier Armen Ergebnisse, die der Annahme einer Wirksamkeit der Medikamentierung glatt widersprechen. Das ideale Diagramm des zu erwartenden Verlaufs anstatt der realen Ergebnisse in [1] zu publizieren ohne dass der Leser das auf Anhieb erkennen kann, noch dazu versehen mit den Literaturangaben zu [3], entspricht sicher nicht den üblichen Gepflogenheiten beim Veröffentlichen von Studienergebnissen.
In der Langzeitstudie zeigte sich der bei natürlichem Verlauf zu erwartende Anteil an Remissionen der Beschwerden, wie er beim Durchlaufen der Pubertät bei einem großen Teil der Kinder quasi von selbst auftritt. Auch hier ist kein spezieller Erfolg der homöopathischen Behandlung erkennbar, es ist noch nicht einmal ersichtlich, in welchem Umfang diese zum Ende der Langzeitstudie hin überhaupt noch stattgefunden hat.
Bei diesen Betrachtungen habe ich mich nicht um die Ergebnisse zu den Kosten der Therapie gekümmert. Diese wären nur für wirksame Therapiemethoden von Belang.
Somit ist die Frage zu stellen, wofür die Preisträger eigentlich geehrt wurden. Eine herausragende wissenschaftliche Leistung oder gar eine belastbare neue Erkenntnis liegt nicht vor. Es erscheint durchaus angebracht, dass die Jury die Preisverleihung noch einmal überdenkt.
Ich möchte zum Abschluss meiner Ausführungen darauf hinweisen, dass ich selbstverständlich bereit bin, meine Ansichten auch persönlich zu vertreten. Da ich in Schopfheim ansässig bin, nur eine gute halbe Autostunde von Basel entfernt, stehe ich jederzeit auch kurzfristig zu einem persönlichen Gespräch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Norbert Aust
Quellen
[1] von Ammon K, Frei-Erb M, Sauter U, Kretschmar S, Thurneysen A, Frei H. ‚Klassische Homöopathie ist wirksam und kostengünstig bei hyperaktiven Kindern – 10-Jahres-Ergebnisse aus einer Kinderarztpraxis [abstract]. PrimaryCare. 2013;13(14):251.
Link: https://boris.unibe.ch/47802/ (nur mit Registrierung einsehbar).
[2] v. Ammon K, Sauter U, Kretschmar S, Frei H, Thurneyson A, Frei-Erb M: ‚Long-term effects of homeopathic treatment in children suffering from attention deficit disorder with and without hyperactivity‘, in: Int J High Dilution Res 2013; 12 [44]: 119-120
Link: http://www.feg.unesp.br/~ojs/index.php/ijhdr/article/view /681/660
[3] Frei, H., Everts, R., v. Ammon, K., Kaufmann, F. Walther, D. et al..:
‚Homeopathic treatment of children with attention-deficit hyperactivity disorder: A randomised, double blind, placebo controlled crossover trial‘, in: European Journal of Pediatrics (2005) 164: 758-767
Link: http://www.heinerfrei.ch/s/ADHDRCT-EurJPaed.pdf
[4] Frei, H., Everts, R., v. Ammon, K., Thurneyson, A.:
‚Homöopathische Behandlung von hyperaktiven Kindern: Ergebnisse einer randomisierten, placebo-kontrollierten Doppelblindstudie mit Crossover‘, in: Zeitschrift für klassische Homöopathie, 2006; 50:5-12,
Link: http://www.heinerfrei.ch/s/HomBeiHyperaktivenKindernZKH.pdf
[5] Aust, N: ‚Anwendung individueller homöopathischer Medikamente bei ADHS – Studie von H. Frei et al., Universität Bern (2005 / 2006)‘, Blog ‚Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie‘,
Link: http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?page_id=110
[6] Bundesärztekammer ‚Sellungnahme zur Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – Langfassung -‚ , 2005, Kapitel 6.1.
http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/ADHSLang.pdf
[7] Naturheilkunde & Naturheilverfahren Fachprotal, ‚Preis für homöopathische ADHS-Forschung‘ vom 26.3.2014,
Link http://www.heilpraxisnet.de/naturheilpraxis/preis-fuer-homoeopathische-adhs-forschung-9018534197.php
[8] LMU Klinikum der Universität München: ‚Langzeitstudie zeigt Wirksamkeit der klassichen Homöopathischen Behandlung von AD(H)S bei Kindern‘, abgerufen 30.3.2014, Link: http://www.klinikum.uni-muenchen.de/de/das_klinikum/zentrale-bereiche/weitere-informationen-presse/pressemeldungen/131129_homoeopathie_adhs/index.html
Das wird wohl eher eine Art „good will“ Kampagne seitens Sandoz gewesen sein.
So kann ihnen die Esoterik-Gemeinde nicht vorwerfen, nichts für die „Forschung“ im alternativmedizinischen Bereich zu tun.
Ich bin nur froh, dass weiter wirksame Medizin von der Industrie geliefert wird, aber ich befürchte, früher oder später, wird „Big Pharma“ auch Globuli und TCM verkaufen, quasi als Vorlauf zum wirksamen Teil einer Therapie.
Mehrfach verdient!
Ach Herr Brunke, wenn ich sagte, sie sollten die Studie lesen, meinte ich, sie sollten sie ganz lesen und nicht nur, bis Sie auf Zitate gekommen sind, die in Ihre Argumentation passen.
Die 50 % Verbsserung beziehen sich auf die Verbesserung von 19 CGI-Punkten am Anfang des Screenings auf 8 bis 9 Punkte am Anfang des Crossovers. Das geschah unverblindet und ohne Kontrollgruppe, ebenso wie die Langzeitbeobachtung nach dem Crossover. Während des Crossovers wird eine Verbesserung von 1,67 Punkten berichtet, dies wird expressis verbis als 17% bezeichnet, nämlich von dem 9-Punkte-Niveau der Crossoverphase ausgehend.
Wenn Sie schon am Lesen sind, ziehen Sie auch die englische Version zu Rate. Die Peers dort haben offensichtlich auch darauf bestanden, dass die Ergebnisse der Crossoverphase dargestellt werden, was in der deutschen Version nicht der Fall ist.
Aber bitte ganz lesen.
Zitat aus der Studie:
„In der Jahren 2001 bis 2005 wurde an der Universität Bern von einem
interdisziplinären Studienteam eine wissenschaftlich rigorose Studie mit
homöopathischer Behandlung von 62 ADS-Kindern durchgeführt. Das Studiendesign
umfasste eine offene Screeningphase, in der das bestpassende homöopathische
Arzneimittel bestimmt werden musste, danach eine doppelblinde Crossover-Studie
und schliesslich eine offene Langzeitbehandlung von durchschnittlich 19 Monaten
Dauer.“
Ihre Ausführen:
„In [1] wird dargestellt, dass eine Verbesserung der ADHS-Symptomatik um 50 % in Folge der homöopathischen Therapie nachgewiesen sei. Dies trifft aber nicht zu. Die ohne Zweifel vorliegenden Verbesserungen nach der Aufnahme der homöopathischen Behandlung wurden in einer unverblindeten Screeningphase und der späteren unverblindeten Langzeitbeobachtung ohne Vergleichsgruppe erzielt.
Zitat Studie:
„Diejenigen, die eine vordefinierte Besserung erreichten, konnten danach an der randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Crossover Studie teilnehmen.“
Zum Ergebnis:
„Der Vergleich des Behandlungseffekts (within-patient differences) zeigt, dass der CGI unter Verum gegenüber Placebo durchschnittlich um 1,67 Punkte abnimmt. Diese Besserung ist statistisch signifikant mit einem p-Wert von 0,0479 und einem 95 % Vertrauensintervall (CI) von -3.316-0.016.“
Ich fasse mit meinen Worten zusammen:
Die Besserungen wurden entgegen Ihrer Ausführungen also nicht lediglich in der unverblindeten Screeningphase erzielt, sondern auch in der randomisierten placebokontrollierten doppelblinden Crossover Studie.
Ich würde sagen, dann fehlt Ihnen die Grundlage für eine Diskussion der Arbeit.
Woher wollen Sie das wissen, wenn Sie sich nicht mit der Studie beschäftigt haben?
In gewisser Weise haben Sie da recht: Die Ergebnisse, die da erzeugt wurden, sind ein Nichts. Und über dieses ‚Nichts‘ da mache ich Lärm. Weil dieses Nichts nämlich zu irgendetwas ganz Tollem hochgejubelt wird, was wahrscheinlich bei vielen Menschen sich sehr zu deren Nachteil entwickeln kann.
Ich schlage vor, Herr Brunke, sie lesen die Studie erst mal, und dann können wir sachbezogen weiterdiskutieren. Sonst macht das nicht viel Sinn.
Ich habe mich zwar nicht mit der Freistudie auseinander gesetzt, gehe aber davon aus, dass die Mediziner das gründlich und ausreichend gemacht haben. Insofern wird der Preis wohl zu recht vergeben worden sein.
Die Behauptung, dass die positiven Ergebnisse bereits vor der Studie vorlagen, ist insofern falsch, da Herr Frei die richtigen Mittel vor der Studie individuell ermittelt hat, wie das in der Homöopathie notwendig ist. Die eigentliche Studie wurde dann nach den Standards der Schulmedizin randomisiert und verblindet durchgeführt. In dieser Phase war eine Besserung in der Verumgruppe zu verzeichnen. Anders wird Schulmedizin auch nicht wissenschaftlich überprüft. Auch schulmedizinische Medikamente werden vor der klinischen Überprüfung am Menschen im Tierversuch auf Wirkung und Nebenwirkung überprüft. Wenn keine Wirkung im Tierversuch ersichtlich ist, fällt die weiter Überprüfung am Menschen aus.
Also wird hier wieder einmal viel Lärm um nichts veranstaltet.
Stimmt, die Carstens Stiftung hüllt sich auch in Schweigen, was der kritisierten Studie zum Kinderwunsch angeht….
Pingback: Ein überteuertes Nichts @ gwup | die skeptiker
… selbstverständlich. Nur leider wird in vielen Fällen die Strategie des Aussitzens gepflegt, wie ich schon in mehreren ähnlichen Fällen erfahren musste.
Sehr gut. Ich bin auf die Antworten der angeschriebenen Personen/Stellen gespannt und bitte schonmal im Vorraus um eine Veröffentlichung.
Pingback: “Baby und Familie” über Globuli bei ADHS @ gwup | die skeptiker
Moin
sehr gut!
Grüße
R. Wagels