(Überarbeitet 14.2.2014)
Die Behandlung von akuten Durchfallerkrankungen bei Kindern gehört offensichtlich zum festen Repertoire homöopathisch arbeitender Heilpraktiker und Ärzte. Kaum eine Praxis-Webseite, die nicht auf die guten Behandlungsmöglichkeiten hinweist, auch kaum ein Forum oder Blog für ratsuchende Eltern im Internet, auf dem die homöopathische Behandlung nicht ihre Befürworter findet.
Die einschlägigen wissenschaftlich orientierten Webseiten zur Homöopathie [1], [2], listen zum Thema Durchfallerkrankungen bei Kindern (Stand 2011) insgesamt 4 klinische Studien auf, die alle vom gleichen Hauptautor, J. Jacobs, stammen [3, 4, 5, 6]. Da sie auch ziemlich gleich angelegt sind, können sie hier gemeinsam in einem Beitrag betrachtet werden. Hinzu kommt eine Übersichtsstudie, in der Jakobs die Arbeiten [3, 4, 5] zusammenfassend betrachtet [11]
Studiendesign
Jacobs beschreibt die erste Studie in Nicaragua [3] als eine Vorabstudie, die zwar keine signifikanten Daten lieferte, jedoch dazu diente, das Vorgehen zu testen. Da die Darstellung des Ablaufs und der Ergebnisse in den folgenden Studien wesentlich aussagekräftiger sind, kann auf eine detaillierte Analyse dieser Studie verzichtet werden. Die folgenden Ausführungen beziehen sich also auf die zweite Veröffentlichung zu Untersuchungen, die in Nicaragua ausgeführt wurden [4].
Die zweite Nicaragua-Studie [4] ist übrigens auch in die Metaanalyse von Linde (1997) [7] eingeflossen und als sehr hochwertig bewertet worden. In die Metaanalyse von Shang (2005) [8] wurde diese Studie zwar ebenfalls aufgenommen, wurde aber anscheinend wegen der relativ geringen Teilnehmerzahl nicht in die Bewertung zur Homöopathie einbezogen. Shangs Metaanalyse werden wir hier zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls näher untersuchen, für Lindes Arbeit siehe mein Buch.
Aus der Einführung in [4] geht hervor, dass die Forscher ein geeignetes Studienobjekt suchten, um die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente zumindest beispielhaft nachzuweisen. Dass die Autoren die kindliche Durchfallerkrankung als Untersuchungsgegenstand ausgewählt haben, wird damit begründet, dass dieser Befund ideale Voraussetzungen für eine solche Studie biete. Erstens ermöglicht die kurze Zeitdauer der Erkrankung eine intensive Beobachtung, zweitens gibt es keinen Konflikt mit einer konventionellen Standardbehandlung, die während des Versuchs eingestellt werden müsste, und drittens ist diese Krankheit wichtig für die Gesundheit in dem betrachteten Land. Wie wir sehen, liegt das Hauptaugenmerk der Autoren darin, einen Beweis für die Wirksamkeit der Homöopathie zu finden. Dass dies anhand der kindlichen Durchfallerkrankungen passiert, ist mehr oder weniger Zufall. Warum dann die Forscher aus Seattle in den USA in entlegene Winkel der Erde ausrückten, ist nicht erklärt. Dies wäre verständlich, wenn man sich zur Aufgabe gemacht hätte, eine kostengünstige Therapie für ein Gesundheitsproblem in ärmeren Ländern mit unzureichender medizinischer Infrastruktur zu finden – aber dies ist nicht das Hauptziel. Hat man in Seattle keine Kinder mit Durchfall gefunden?
Die Untersuchung fand 1991 in zwei der ärmeren Vororte von León statt, einer Großstadt mit 175.000 Einwohner im Westen Nicaraguas nahe der Pazifikküste. Sie wurde an zwei öffentlichen Kliniken durchgeführt, die kostenlose Behandlung für die Bevölkerung der Umgebung anbieten. Dabei scheint sich eine Klinik (‚clinic‘) von einem Krankenhaus (‚hospital‘) deutlich zu unterscheiden: Kinder mit zu schweren Symptomen konnten nicht in der Klinik behandelt und in die Studie aufgenommen werden, sondern wurden an das Krankenhaus überwiesen, beispielsweise wenn Infusionen erforderlich wurden.
Es nahmen 81 Kinder an der Studie teil. Diese wurden ausgewählt, wenn sie mehr als drei ungeformte Stuhlgänge innerhalb der letzten 24 Stunden hatten, wenn die Beschwerden noch nicht länger als eine Woche andauerten und wenn sie keine anderen Medikamente (Antibiotika, Antiparasitika, krampflösende Mittel) während der vorangehenden 48 Stunden erhalten hatten. Ausgeschlossen waren weiterhin Kinder, die bereits einen extremen Flüssigkeitsmangel aufwiesen und ins Krankenhaus eingewiesen wurden.
Die homöopathische Behandlung bestand aus einer Erstanamnese, bei der den Kindern individuelle Medikamente in C30-Potenz verordnet wurden. Diese sollten jeweils nach einem ungeformten Stuhlgang eingenommen werden. Die in den USA vorbereiteten Medikamentenröhrchen enthielten jedoch nach einem Zufallszahlencode entweder das homöopathische Medikament (‚Verum‘) oder eine gleich aussehende und gleich schmeckende Tablette ohne die homöopathische Arznei (‚Placebo‘). Weder dem behandelnden Arzt noch den Patienten war bekannt, welches Kind Placebo beziehungsweise Verum erhielt. Parallel zu dieser Behandlung erhielten die Kinder zum Ausgleich des Flüssigkeitsverlusts eine Trinklösung, wie sie von der WHO empfohlen wird, und sie sollten auch ihre normalen Ernährungsgewohnheiten beibehalten.
Die Eltern der Kinder vermerkten auf einem Protokollblatt mit graphischen Symbolen die Anzahl und Konsistenz der Stuhlgänge, was dann täglich vom Betreuer der Studie abgefragt wurde. Die Wirkung von Verum oder Placebo sollte anhand der Zeit (in Tagen) gemessen werden, ab Beginn der Behandlung bis erstmals zwei Tage lang weniger als drei ungeformte Stuhlgänge pro Tag auftraten.
Ergebnisse in Nicaragua
Betrachten wir zunächst den Verlauf der Erkrankung und vergleichen die Ergebnisse der Gruppe, die Verum erhielt, mit den Ergebnissen der Gruppe, die nur Placebo einnahm. Der Vergleich im Krankheitsverlauf ist in der Arbeit in einer Grafik dargestellt, die aus Gründen des Copyrights nicht direkt hier eingefügt werden kann. Daher habe ich sie nach den angegebenen Daten nachgezeichnet.
Grafik: Verlauf der Durchfallerkrankung im Gruppenvergleich
Messwerte und Ausgleichsgeraden für die Tage 1 bis 5
rot: Placebo, grün: Verum
Schon bei oberflächlicher Betrachtung fällt der ungewöhnliche Krankheitsverlauf auf. Jacobs gibt an, dass im Durchschnitt die Behandlung in beiden Gruppen erst 2,6 Tage nach Beginn der Beschwerden einsetzte. In den letzten 24 Stunden vor Behandlungsbeginn hatten die Kinder durchschnittlich 7,9 (Verum) und 7,5 (Placebo) Stuhlgänge. Nach Beginn der Behandlung kam es bereits am ersten Tag in beiden Gruppen zu einer drastischen Verbesserung der Situation und die Anzahl sank auf 3,4 (Verum) und 4,0 (Placebo).
Dass diese starke Verbesserung in beiden Gruppen am ersten Tag auftrat, ist zunächst erstaunlich. Die Kinder erhielten nach den Angaben von Jacobs ja nur die für den Krankheitsverlauf vermeintlich nicht wirksame Trinklösung nach den WHO-Empfehlungen, sie sollten außerdem ihre normale Ernährung beibehalten. Woher kam dann die plötzliche erhebliche Verbesserung? Da beide Gruppen betroffen sind, kann es sich ja nicht um einen Effekt der homöopathischen Medikamente handeln, sondern muss für beide Gruppen gleichermaßen am ersten Behandlungstag wirksam geworden sein. In der Studie wird dieser Frage nicht nachgegangen. Was kann für diese Erscheinung in Frage kommen?
Ein natürlicher Verlauf der Krankheit: Akute Durchfallerkrankungen sind normalerweise selbstlimitierend, das heißt, nach einer gewissen Weile gehen die Beschwerden von selbst wieder zurück. Jacobs nennt hierfür ein Zeitfenster von ca. sechs Tagen. Hat man zufällig nach 2,6 Tagen eine Phase besonders starken Rückganges erwischt?
… oder …
Probleme bei der Datenerfassung: Nach Beginn der Behandlung vermerkten die Eltern ihre Beobachtungen auf vorgefertigten Formblättern, die täglich abgefragt wurden. Die Anzahlen vor dem Behandlungsbeginn aber mussten wahrscheinlich aus dem Gedächtnis angegeben werden. Kann darin eine Problematik liegen, wenn die Eltern nicht auf die Frage vorbereitet waren und nicht gezählt hatten? Oder haben die Eltern die Schwere der Erkrankung bewusst übertrieben, um in den Genuss der Behandlung durch die US-amerikanischen Ärzte zu kommen, was in einem armen Stadtviertel in Mittelamerika möglicherweise als besonders vorteilhaft angesehen wurde? Oder gab es einfach Sprachprobleme zwischen den spanischsprechenden Eltern und den US-amerikanischen Ärzten?
… oder …
Völlig verfehlte bisherige Behandlung: Die Autoren geben keine Informationen darüber, wie die Kinder vor Beginn der mit der Studie verbundenen Untersuchungen behandelt wurden. Hat man ihnen vielleicht viel zu wenig zu trinken gegeben, und der Rückgang ist eine Folge der Umstellung im Wasserhaushalt, ausgelöst durch die mit Beginn der Behandlung wesentlich verstärkte Flüssigkeitszufuhr?
… oder etwas ganz Anderes.
Wie dem auch sei, auf keinen Fall hat diese Verbesserung etwas mit der homöopathischen Behandlung zu tun – sonst hätte sie nicht auch in der Placebogruppe auftreten dürfen. Nach diesem großen Schritt am ersten Tag ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: 4,0 Ereignisse pro Tag für Placebo und 3,4 für Verum. Immerhin. Natürlich kann man annehmen, dass das Homöopathikum die Erstverbesserung in der Verumgruppe verstärkt habe und daher jetzt dort eine niedrigere Anzahl zu verzeichnen ist. Ist diese Annahme aber gerechtfertigt?
Aus der Studie ist zu ersehen, dass die beiden Gruppen sich in ihren Charakteristika deutlich unterscheiden. Die Kinder in der Verumgruppe sind, so berichtet Jacobs, im Durchschnitt deutlich älter (19,6 zu 17,8 Monate), allerdings geringfügig kleiner (75,7 zu 76,4 cm) aber etwas schwerer (9,8 zu 9,5 kg). Zudem waren mehr Kinder zuvor konventionell behandelt worden (21 zu 11 %). Wie erkennbar, hat die Verteilung der Kinder auf die Gruppen nach dem Zufallsprinzip nicht dazu geführt, dass die verschiedenen Eigenschaften der Kinder gleichmäßig verteilt waren. Man wird also auch annehmen können, dass die Stärke der Erkrankung in den Gruppen ebenfalls nicht genau gleich verteilt war.
Ignoriert man einmal den unerklärlichen Heilungserfolg am ersten Tag und betrachtet man nur die nachfolgenden Verläufe, dann stellt man fest, dass die Placebogruppe sich sogar schneller erholt als die Verumgruppe. Legt man für beide Gruppen jeweils eine gerade Linie durch die Punkte, die bestmöglich den Verlauf annähern soll (‚Ausgleichsgerade‘), wie durch die helleren Linien im Diagramm angedeutet, und verlängert diese an den Beginn der Behandlung, dann ergäben sich für Verum 3,7 und für Placebo 4,6 Stuhlgänge pro Tag. Allerdings verbessert sich dieser Wert bei Placebo durchschnittlich um 0,51 pro Tag, bei Verum nur um 0,44. Wenn man also eine Wirksamkeit der homöopathischen Arzneien unterstellen wollte, dann müsste man aussagen, dass sie am ersten Tag stärker gewirkt hätten als Placebo, für die restlichen vier Tage aber eine geringere Wirkung zeigte. Ist das plausibel? Oder gab es überhaupt keine Wirkung von Verum und das Ergebnis ist Zufall? Ein Zufall darin, wie stark der durch den Behandlungsbeginn am ersten Tag beseitigte äußere Einfluss war, beispielsweise wie stark die Flüssigkeitszufuhr eingeschränkt war und ein Zufall auch darin, wie schwer die Kinder tatsächlich erkrankt waren?
Dass die homöopathischen Arzneien hier eine stärkere Wirkung als die Placebos entfaltet haben sollen, ist bei Betrachtung dieses durchschnittlichen Krankheitsverlaufs nicht nachvollziehbar.
Selbst wenn diese Überlegungen unzutreffend wären, was sagen die Daten aus? Die Autoren schreiben wörtlich in der Zusammenfassung: ‚Es gab nach 72 Stunden Behandlung zwischen den Gruppen auch einen signifikanten Unterschied (p < 0.05) in der Zahl der Stuhlgänge pro Tag‘. Eine hohe Signifikanz, angezeigt durch einen niedrigen p-Wert, bedeutet, dass das Ergebnis wahrscheinlich nicht durch Zufall entstanden ist, siehe hier. Allerdings besteht diese hohe Signifikanz nach Angaben der Autoren zum Diagramm nur am dritten Tag, für alle Tage davor und danach ist der Unterschied in der Häufigkeit eben nicht signifikant – also mit einiger Wahrscheinlichkeit Zufall.
Zusammengefasst: Vergleicht man die täglichen Anzahlen der Stuhlgänge zwischen den beiden Gruppen, dann liefert nur Tag 3 einen signifikanten Unterschied, was dann allerdings auch in der Zusammenfassung und in der Folge von jedem, der die Studie zitiert gerne dargestellt wird. Man würde erwarten, dass wenn die Wirksmkeit einmal eingesetzt hätte, die Vorteile von Tag zu Tag größer werden müssten – allein, das ist nicht der Fall. Bereits am nächsten Tag ist der Vorteil der Verumgruppe kleiner denn je und d er werbewirksame Vorteil ist dahin.
Selbst wenn die bisherigen Überlegungen nicht stichhaltig sein sollten: Was wurde hier eigentlich als Hauptergebnis gemessen? Angegeben wird, dass die Verumgruppe eine statistisch signifikante Abkürzung in der Zeitdauer der Erkrankung ab Beginn der Behandlung zu verzeichnen hätte. Das Ende wurde als der Tag definiert, ab dem erstmals für mindestens zwei Tage weniger als drei ungeformte Stuhlgänge pro Tag aufgetreten sind.
Akuter Durchfall kann eine ganze Reihe von Ursachen haben, siehe den entsprechenden Eintrag in der Wikipedia [9]. Dort ist auch nachzulesen, dass als Durchfall gilt, wenn an einem Tag mehr als drei flüssige Stuhlgänge auftreten. Dazu kommt aber – und dieser Punkt fehlt in der ganzen Studie – dass eine bestimmte Menge dabei überschritten wird, für Erwachsene werden in Summe mehr als 250 Gramm pro Tag angegeben. Kann daher alleine die Anzahl ein aussagekräftigem Maß sein, die vielleicht alleine vom Wasserhaushalt des Patienten beeinflusst ist? Wie wäre es zu werten, wenn zwar weniger Stuhlgänge erfolgten, die gesamte Menge jedoch dabei aber größer wäre als vorher, eben weil jetzt wieder mehr Wasser zur Verfügung steht? Ich bin zwar kein Mediziner, der dies schlussendlich beurteilen zu könnte, aber es leuchtet ein, dass dieser Umstand eigentlich in der Studie hätte berücksichtigt werden müssen.
Wurde wenigstens ein Kriterium für den Endpunkt der Betrachtung gewählt, der für den Patienten eine gewisse Bedeutung hat? Für die Verumgruppe können die Werte für Tag 1 bis 4 entnommen werden zu 3,4 – 2,8 – 2,1 – 2,0. Das heißt, die Beschwerden sind auch wenn das Endkriterium eingetreten ist, noch lange nicht zu Ende. Es ist zu vermuten, dass ein Patient subjektiv sich erst dann als von einem akuten Durchfall genesen empfindet, wenn er wieder hinreichend ‚innerlich gefestigt‘ ist, also keine flüssigen Stuhlgänge mehr auftreten. In diesem Licht ist eine Verbesserung, die darin besteht, dass die Anzahl unter drei pro Tag sinkt, für den Patienten selbst vielleicht zwar als eine gewisse Erleichterung zu sehen, aber Erleichterung ist relativ. Abhängig von der Vorgeschichte kann auch ein Rückgang auf fünf schon eine Erleichterung sein. Der Zeitpunkt, wann weniger als drei Ereignisse pro Tag stattfinden, ist nur ein ziemlich beliebig festgesetzter Zwischenzustand, der sich für den Patienten nicht markant im Krankheitsgeschehen abhebt.
Die Autoren geben an, dass die Zeit bis zum definierten Endpunkt bei der Homöopathiegruppe um 0,8 Tage kürzer war als bei Placebo. 3,0 anstelle 3,8 Tage. Dieser willkürlich gewählte Endpunkt tritt also noch nicht einmal einen vollen Tag früher auf. In der Studie wird aber nicht genannt, wann denn die Beschwerden tatsächlich vollkommen verschwunden waren, eine Abschätzung anhand der Ausgleichsgeraden in der Grafik wäre auch sehr vage. Man kann aber in der Grafik deutlich erkennen, dass auch am fünften Tag die Sache noch nicht ausgestanden war. Schlicht und einfach: das gewählte Maß und die daran gemessenen Verbesserungen sind für die Patienten kaum als solche fühlbar, es handelt sich um eine rein akademische etwas lebensfremde Betrachtung, dass ein willkürlich im Krankheitsverlauf definierter Punkt sich zeitlich verschiebt.
Auf jeden Fall geht die von Jacobs dargestellte Bewertung des Ergebnisses völlig daneben. Dort wird die Abkürzung um 0,8 Tage für das Messkriterium als Abkürzung der gesamten Krankheitsdauer – nach Jacobs Angaben fünf bis sechs Tage – angesetzt, was angesichts des Verlaufs nicht gerechtfertigt ist. Da die Placebogruppe wie dargestellt schneller ausheilt als die Verumgruppe, wird der Vorteil zum Ende der Beschwerden deutlich geringer sein.
Bei diesen Betrachtungen wurde davon ausgegangen, dass die berichteten Ergebnisse zusammen passen – tatsächlich sind sie aber nur sehr schwierig in Einklang zu bringen. Beschränken wir uns auf die Verumgruppe:
-
nach weniger als zwei Tagen war für die Hälfte der Patienten die Behandlung beendet (Tabelle 6 der Veröffentlichung)
- im Text wird beschrieben, dass das Endkriterium, weniger als drei Stuhlgänge am Tag, erst am dritten Tag erreicht wurde
- bereits am zweiten Tag beträgt nach der Grafik die Anzahl der ungeformten Stühle im Mittel nur noch 2,8
- Die Zeit bis zum ersten geformten Stuhlgang beträgt im Mittel 3,6 Tage (Tabelle 5)
Vielleicht gibt es eine einsichtige Lösung für diesen Datensalat, aber mir ist es nicht gelungen, mir ein plausibles Bild zu machen, in dem alle diese Angaben einen Platz finden.
Ergebnisse aus Nepal
Der Ablauf in dieser Studie war weitgehend identisch zur beschriebenen Untersuchung in Nicaragua. Sie wurde 1994 in einem Vorort von Kathmandu an 126 Kindern durchgeführt, die einer Bevölkerungsgruppe von nepalesichen und tibetischen Flüchtlingen entstammten.
Diese Studie lag für Lindes Metastudie [7] noch nicht vor. Sie ist aber eine der Studien, die bei Shang [8] als größere qualitativ gute Studie in die Gesamtbewertung eingeflossen ist.
Für die Nepal-Studie sind die Autoren nicht so freigiebig mit detaillierten Informationen zu ihren Messergebnissen. Die Gegenüberstellung der Eingangsdaten der beiden Gruppen zeigt allerdings ähnliche Daten wie für Nicaragua. Bemerkenswert ist, dass auch hier die Kinder in der Verumgruppe älter sind als in der Placebogruppe (20,6 zu 16,6 Monaten), hier allerdings auch deutlich größer (76,3 zu 72,9 cm) und schwerer (9,6 zu 8,7 kg).
Leider ist es nicht möglich, die gleichen Betrachtungen zum Verlauf der Erkrankung wie oben anzustellen, da keine Informationen zur täglichen Häufigkeit des Stuhlgänge angegeben worden sind. Die Ergebnisse werden auf völlig andere Weise: Während für Nicaragua Durchschnittshäufigkeiten angegeben werden, werden für Nepal Genesungswahrscheinlichkeiten dargestellt.
Diese beiden Zahlen lassen sich zumindest mit meinen Mitteln nicht ineindander überführen, denn es liegen keine weiteren Angaben etwa zu den Standardverteilungen der Nicaragua-Ergebnissen vor.
Als Ergebnis wird eine sogenannte Kaplan-Meier Grafik dargestellt. Ein solches Diagramm beschreibt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Mitglieder der Gruppe noch nicht genesen sind. Wir können aus der Grafik näherungsweise die Prozentzahlen der ‚genesenen‘ Patienten abmessen, was allerdings nur mit begrenzter Genauigkeit möglich ist. Das Ergebnis zeigt die folgende Tabelle:
Tag | Verum (%) | Placebo (%) |
---|---|---|
0 | 0 | 0 |
1 | 26 | 14 |
2 | 36 | 25 |
3 | 55 | 30 |
4 | 60 | 39 |
Nach zwei Tagen haben also 36 % der Teilnehmer der Verumgruppe das Kriterium erfüllt, das als Maß für die Wirksamkeit der Behandlung festgelegt wurde, bei der Placebogruppe waren es erst 25 %. Das Ergebnis sieht zwar deutlich aus, ist es aber auch signifikant, das heißt, wahrscheinlich nicht durch Zufall zu Stande gekommen?
Jacobs nennt als Ergebnis eines Signifikanztests, der als sogenannter Logrank-Test für den gesamten Verlauf durchgeführt wurde, einen Zahlenwert von p = 0,036, was durchaus als signifikant angesehen werden kann. Als kleine Kuriosität am Rande: Die Autoren ermittelten eine Signifikanz für den Heilungsverlauf p = 0,036. Wenn dies unzweifelhaft auf eine Wirkung der homöopathischen Arznei hinweisen sollte, dann müsste ebenso unzweifelhaft festgestellt werden, dass die Mittel auf die Körpergröße der Kinder gewirkt haben: Im statistischen Vergleich sind die Kinder in der Verumgruppe signifikant größer (p = 0,03) als in der Placebogruppe. Auch der Unterschied im Alter ist fast signifikant. Wie wir sehen, so unwahrscheinlich ist ein signifikantes Ergebnis garnicht.
Letztendlich ist die Nepal-Studie wegen der alleinigen Angabe der Wahrscheinlichkeiten nicht analysierbar. Dabei ist durchaus zu sehen, dass das Kriterium für das Eintreten der Gesundung das gleiche ist wie in der Nicaragua-Studie, nämlich ein willkürlich im Krankheitsverlauf festgelegter Zeitpunkt. Es ist zu konstatieren, dass die Verumgruppe durchaus im Vorteil gegenüber der Placebogruppe war, aber dieser kann genauso unsignifikant gewesen sein wie in der Nicaragua-Studie.
Es gibt allerdings ein paar Indizien, die darauf hindeuten, dass die Ergebnisse beider Studien ähnlich waren, insbesondere der Heilungsverlauf in zwei Phasen:
-
Die Ausgangssituation, das heißt die Anzahl der Stuhlgänge 24 Stunden vor der Behandlkung war sehr hoch, in Nicaragua im Schnitt über sieben, in Nepal sogar über acht.
-
In beiden Ländern war offenbar Dehydrierung ein großes Problem, die Berwertungskriterien werden gleich beschrieben und in beiden Fällen wird die WHO-Trinklösung gleichzeitig zur homöopathischen Behandlung gestartet.
-
Beide Studienergebnisse zeigen in Anbetracht der Ausgangslage bereits nach dem ersten Behandlungstag dramatische Erfolge: In Nicaragua sinkt die Häifigkeit von im Schnitt von 7,7 auf 3,7 Ereignisse, in Nepal erfüllen bereits 30 % der Kinder das Heilungskriterium.
-
Am zweiten Tag nach Behandlungsbeginn sind in beiden Studien zwischen 30 und 40 % der Kinder ‚geheilt‘.
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Weder in dem als Zweiten verfassten Bericht über die Untersuchungen in Nepal noch in einer später veröffentlichten zusammenfassenden Betrachtung der vorliegenden Studien [11] berichten die Autoren über Unterschiede im Krankheitsgeschehen.
Auch wenn diese Indizien darauf hindeuten, dass die Nicaragua-Studie und die Nepal-Studie die gleichen Probleme hinsichtlich der Aussagekraft aufweisen, ist es nur eine Vermutung, dass sich dei Argumente gegen die Nicaragua-Studie auch auf die NEpal-Studie übertragen lassen. Letztendlich bleibt dies aber Vermutung. Sicher hingegen ist, dass Jacobs auf jeden Fall die Auswirkungen der parallelen Rehydrierungstherapie auf ihre Ergebnisse hätte diskutieren müssen.
Ergebnisse in Honduras
Die Studie [6] wurde unter ähnlichen Randbedingungen ausgeführt, jedoch wurde statt der individuell gewählten Arzneien ein Kombinationspräparat eingesetzt, das aus den fünf in den vorherigen Studien am häufigsten eingesetzten Arzneien zusammengestellt wurde. Diese Versuche ergaben keine signifikanten Wirkungen des Homöopathikums im Vergleich zu Placebo. Daher erübrigt sich hier eine detaillierte Analyse.
Übertragbarkeit
Schon auf den ersten Blick fällt eine Merkwürdigkeit auf: Obwohl die Forschergruppe in Seattle / Washington State / USA ansässig ist, wurden die Versuche in Nicaragua, Nepal und Honduras durchgeführt, sowohl von USA als auch von Mitteleuropa aus gesehen etwas exotische Länder. Warum dies erfolgte, ist in der Studie nicht erklärt. Es ist wohl kaum zu glauben, dass es in USA keine Kinder mit Durchfall gegeben haben sollte.
Für alle drei Länder hat das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland Reise- und Sicherheitshinweise herausgegeben [10]. Für alle Länder wird unter der Überschrift ‚Durchfallerkrankungen‘ vor dem Genuss von Leitungswasser sowie frischem Obst und Gemüse gewarnt. Natürlich sind Touristen, für die diese Warnungen gelten, besonders anfällig, da das Verdauungssystem durch die ungewohnte Nahrung, die Zeitumstellung und ähnliche Stressfaktoren ohnehin schon gereizt ist. Aber auch bei der einheimischen Wohnbevölkerung treten – zumindest in Nepal – gelegentlich Durchfallerkrankungen auf, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Es ist nicht so, dass sich in der einheimischen Bevölkerung eine gewisse Resistenz herausbildet, die spätestens im Erwachsenenalter einen zuverlässigen Schutz darstellt. Man trinkt möglichst Wasser nur aus industriell abgefüllten Flaschen und Plastikbehältern, nicht aus der öffentlichen Wasserversorgung. Trotzdem hat jeder regelmäßig das Problem.
Sind die Ergebnisse, die in solchen Ländern, noch dazu in den ärmeren Bevölkerungsschichten an kleinen Kindern erzielt wurden, tatsächlich auf die Verhältnisse in einer westlichen Industrienation übertragbar, in der sauberes Wasser und einwandfreie Nahrungsmittel kein Problem darstellen? Es ist doch wohl eher nicht anzunehmen, dass ein Kind in Nepal durch Verzehr von zu viel Eiscreme, Trinken von zu kalten Getränken oder zu vielen fetten Pommes sich den Magen verdirbt.
Nirgendwo in den betrachteten Studien wird dies untersucht, dennoch wird die verallgemeinernde Schlussfolgerung gezogen, dass nachgewiesen sei ‚dass Homöopathie bei akuten Durchfallerkrankungen bei Kindern wirksam hilft‘. Selbst wenn die Studien tatsächlich eine Wirksamkeit belegen würden, wäre diese Verallgemeinerung sicher nicht so ohne Weiteres zulässig.
Zusammenfassung.
Damit haben wir alle bekannten klinischen Studien zur Homöopathie bei akuten Durchfallerkrankungen von Kindern betrachtet. Dabei wurden folgende Ergebnisse erzielt:
Die erste Studie [3] stellte eine Probeuntersuchung dar, die Autoren stellen selbst fest, dass sie keine signifikanten Ergebnisse erzielt haben.
Die zweite Studie [4] in Nicaragua zeigt einen nicht erklärten Verlauf der Beschwerden, der vermuten lässt, dass der Anfangspunkt nicht sicher ist. Eine Betrachtung der Verläufe nach dem ersten Tag deutet jedoch in keiner Weise auf eine Wirksamkeit der Homöopathika hin. Ein signifikanter Unterschied im Krankheitsgeschehen beider Gruppen tritt nur zu einem singulären Punkt im Zeitverlauf auf, einen Tag später ist der Vorteil der Verum-Gruppe aufeinen Minimalwert geschrumpft.
Das von den Autoren gewählte Kriterium zum Ende der Erkrankung ist wahrscheinlich medizinisch eher schwammig und entbehrt wahrscheinlich der Relevanz im Erleben der Betroffenen, da es einen willkürlichen Punkt im Krankheitsverlauf darstellt, zu dem man sich für gemeinhin noch nicht als ‚gesund‘ betrachtet. Ob die sich daraus ermittelte Abkürzung um 0,8 Tage eine fühlbare Verbesserung für den Patienten darstellt, kann man zumindest diskutieren.
Für die Untersuchung in Nepal [5] werden andere Daten als Ergebnis angegeben, die nur in wenigen Kriterien einen Vergleich mit der vorherigen Studie erlauben. Die Vermutung, dass der gesamte Verlauf dieser Studie der vorherigen ähnelt, mit den gleichen Aussagen zum mangelnden Nachweis der Wirksamkeit, kann daher nicht überprüft werden. Dennoch gibt es Indizien, dass der Krankheitsverlauf dem zuvor in Nicaragua erlebeten durchaus entspricht.
Die Untersuchung in Honduras [6] schließlich liefert schon nach Aussagen der Autoren selbst keine signifikanten Nachweise zur Wirksamkeit des homöopathischen Komplexmittels.
In keiner der Studien wird untersucht bzw. diskutiert, welche Auswirkungen die parallel durchgeführte Rehydrierung der Kinder mittels der WHO-Trinklösung die MEsswerte beeinflustt haben könnte.
Selbst wenn alle diese Betrachtungen nicht zutreffend wären, dann bleibt immer noch die Frage der Übertragbarkeit der Ergebnisse. Man hat in drei exotischen Ländern, in denen schon vor dem Genuss unbehandelten Wassers aus der Trinkwasserversorgung und dem Verzehr ungekochten Gemüses gewarnt wird, kleine Kinder untersucht, die sich aus den ärmeren Bevölkerungsschichten rekrutieren. Ob denn die Ursachen und Erscheinungsformen der Durchfallerkrankungen ähnlich sind wie in Mitteleuropa darf bezweifelt werden. Damit ist auch nicht gesichert, ob Therapien, die dort wirkungsvoll sein mögen, sich auch im täglichen Geschehen in den westlichen Industriestaaten bewähren würden, dies hätten die Autoren vor der Verallgemeinerung diskutieren müssen.
Die Aussagen, Homöopathie wäre eine bewährte Therapie bei der Behandlung von akuten kindlichen Durchfallerkrankungen, entbehren somit jeder wissenschaftlichen Grundlage.
Quellen
Ich danke Frau Ines Oßwald (http://nepalmeromaya.wordpress.com/) für ihre Informationen über das tägliche Leben in Nepal.
[1] https://www.carstens-stiftung.de/fileadmin/user_upload/pdf/Der-aktuelle-Stand-der-Forschung-zur-Homoeopathie-2016-WissHom.pdf (Edit 03.02.2017: Link aktualisiert auf den neuen Forschungsreader)
[2] http://facultyofhomeopathy.org/randomised-controlled-trials/ (edit 18.02.2017: Link aktualisiert)
[3] Jacobs J, Jimenez LM, Gloyd S, Careres FE, Gaitan MP, Crothers D: ‚Homeopathic treatment of acute childhood diarrhea‘, in: Br. Homeopath Journal (1993) 82: pp83-86
[4] Jacobs J, Jimenez M, Gloyd SS, Gale JL, Crothers D: ‚Treatment of Acute Childhood Diarrhea With Homeopathic Medicine: A Randomized Clinical Trial in Nicaragua‘, in: pediatrics (1994); 93: 719 – 725
[5] Jacobs J, Jimenez M, Malthouse S, Chapman E, Crothers D, Masuk M, Jonas WB: ‚Homeopathic Treatment of Acute Childhood Diarrhea: Results from a Clinical Trial in Nepal‘, in: J Altern Complem Med (2000) : 6(2): pp 131-139
[6] Jacobs J, Guthrie BL, Montes GA, Jacobs LE, Mickey-Colman N, Wilson R, DiGiacomo R: ‚Homeopathic Combination Remedy in the TReatment of Acute Childhood Diarrhea in Honduras‘, in: J Altern Complem Med (2006) : 12(8): pp 723-732
[7] Linde K, Clausius N, Ramirez G, Melchart D, Eitel F, Hedges LV, Jonas WB: ‚Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled-trials‘, in: The Lancet (1997) 350, pp 834 – 843
[8] Shang A, Huwiler-Müntener K, Martey L, Jüni P, Dörig S, Sterne JA, Pewsner D, Egger M: ‚Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? Comparative study of placebo- controlled trials of homeopathy and allopathy‘, in: The Lancet (2005) 366, pp 726 – 732
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Durchfall
[10] Portal für Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/LaenderReiseinformationen_node.html
[11] Jacobs J, Jonas WB, Jiminez-Perez M, Crothers D: ‚Homeopathy for childhood diarrhea: combined results and metaanalysis from three randomized, controlled clinical trials‘, Pediatr Infect Dis J, 2003; 22:229-34, Link zum Volltext
Ein etwas verspäteter Einwand:
„Dass diese starke Verbesserung in beiden Gruppen am ersten Tag auftrat, ist zunächst erstaunlich. Die Kinder erhielten nach den Angaben von Jacobs ja nur die für den Krankheitsverlauf vermeintlich nicht wirksame Trinklösung nach den WHO-Empfehlungen,….“
Die WHO-Trinklösung ersetzt ja nicht nur Elektrolyte, Wasser etc., sondern bewirkt auch eine „Eindickung“:
https://de.wikipedia.org/wiki/WHO-Trinkl%C3%B6sung
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Nach Hahnemann würde doch, wenn eine homöopathische Wirkung nachgewiesen werden soll, zunächst eine „Erstverschlimmerung“ eintreten, zumindest, bei einem signifikanten Anteil der Studienteilnehmer der Verum-Gruppe. Aber die Daten lassen nicht einmal Ansatzweise einen solchen Schluss zu.
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🙂 Schön, sehr schön!